Entdeckung einer Künstlerin
Anna Netrebko in Verdis «Traviata» am Zürcher Opernhaus
Erwartet worden war ein Star, gekommen ist eine Künstlerin. Wie anders hat sich die gefeierte russische Sopranistin Anna Netrebko bei ihrem Début im Opernhaus präsentiert als bei ihrem ersten Zürcher Auftritt vor dreieinhalb Jahren im Hallenstadion! Damals die riesigen Plakatwände und flächendeckenden Medienauftritte zusammen mit dem Tenor Rolando Villazón, jetzt der der Name Netrebko ohne jede Hervorhebung in Spielplan und Wocheninserat des Opernhauses. Hätte sich in der ersten der drei Vorstellungen nicht die Sponsorfirma aus der Uhren- und Schmuckbranche unübersehbar in Szene gesetzt, wäre es fast ein ganz normaler Abend gewesen – bis Anna Netrebko als Kurtisane Violetta Valéry auf der bugartigen Plattform hoch über der Festgesellschaft im Pariser Salon die Bühne betrat.
Schon als sie noch mit dem Rücken zum Publikum stand, war ihre körperliche Präsenz mit Händen zu greifen. Dabei passte sich Anna Netrebko durchaus der stilisierten, sachlich kühlen Inszenierung Jürgen Flimms an (umso naturalistischer klangen die Hustenanfälle der Schwindsüchtigen). Die Kostüme wurden zwar für sie neu angefertigt und modifiziert, doch sie sind diskret, ja schlicht geblieben. Tatsächlich hat es die Sängerin nicht nötig, Bein und Busen zu zeigen, und wer glaubte, sie verdanke ihre kometenhafte Karriere wesentlich ihrem schönen Körper, der wurde gerade bei diesem Zürcher Gastspiel eines Besseren belehrt. Natürlich trägt die gespannte Ausdruckskraft, die sie jeder Geste, jeder Bewegung verleiht, viel zur Faszination ihrer Traviata-Interpretation bei. Doch in erster Linie ist diese Künstlerin – so, wie sie hier in Verdis Oper auftrat – ein Stimmphänomen. Dabei gründet ihr Ausnahmerang heute vielleicht weniger auf dem Timbre ihres Soprans, so sinnlich und reizvoll dieses dank seiner natürlichen dunklen Färbung klingt, als vielmehr auf dem aufs Äusserste verfeinerten, doch nie manieriert wirkenden Umgang mit den vokalen Mitteln.
Wie sie dem Klang Resonanz verschafft, den Ton fokussiert, auf dass er auch im Piano trägt, vor allem aber wie sie die Kunst des Crescendos und Decrescendos einsetzt, das zeugt von wahrhafter, reifer künstlerischer Meisterschaft. Und sie beschränkt sich nicht auf die virtuose Wiedergabe von Phrasen oder Arien, sondern gestaltet stets das Ganze einer Szene, eines Aktes, nein: der Figur in allen Facetten von Liebesglück, Verzicht, Krankheit, Verlassenheit und utopischer Hoffnung im Tod. Am eindrücklichsten konnte man das im zweiten Akt erleben, bei der Konfrontation mit Alfredos Vater und der verzweifelten Flucht zurück in die Pariser Halbwelt. Ein Jammer, dass Juan Pons hier mit seinem in der Höhe belegt klingenden Bariton und seiner statischen Darstellung Netrebko kein künstlerisches Gegenüber sein konnte.
Umso beglückender war die Partnerschaft mit Piotr Beczala in der Rolle Alfredos. Der polnische Tenor, mit seiner langsamen, kontinuierlichen Entwicklung das genaue Gegenbild zum Senkrechtstarter Villazón, steht heute auf dem Zenit seiner stimmlichen Entfaltung und verströmt eine solche Fülle an Schmelz und Glanz, dass man darüber vergisst, dass sein Gesang weit leidenschaftlicher ist als seine Darstellung. Für einen geschlossenen Gesamteindruck sorgte nebst dem motivierten Hausensemble auch der Dirigent Marco Armiliato, der das hellwache Orchester mit sensibler Hand führte und zugleich eine optimale Abstimmung mit den Sängerstimmen erzielte. – Wer das «Ereignis Netrebko» noch vor sich hat, darf sich freuen!
Madama Butterfly
vor 2 Stunden
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