"Barock ist wie ein Popsong"
Der Tenor Rolando Villazón über seine neue Liebe zu Händel und die Schlüsse aus seiner Stimmkrise
Händel statt Verdi - ist das Jubiläumsstrategie oder Stimmtherapie?
Rolando Villazón:
Weder noch! Oder beides gleichzeitig. Es ist Teil des Abenteuers, als das ich nach wie vor mein Singen begreife. Auch zwischen Verdi und Puccini liegen bereits stilistische Welten. Ich kann hier für mich sehr überraschende Entdeckungen machen.
Ja, aber das eine ist das übliche Tenor-Terrain und beim anderen sehen sich sofort die Wächter der reinen Barocklehre herausgefordert.
Villazón:
Sollen sie nur. Ich finde, ich habe in dieser Musik durchaus etwas zu sagen. Mögen die Puristen meckern, ich weiß, dass ich hier polarisiere. Die einen mögen gerade eine männlichere, stärkere Stimme, die anderen sind wütend, weil es nicht ihrem stilistischen Ideal entspricht. Ich mache das aber nicht, um zu provozieren. Die ganze Sache geht auf Cecilia Bartolis Vivaldi-Album zurück, das ich im Jahr 2000 erstmals gehört habe. Es ist bis heute eine meiner Lieblingsplatten. Ich bewundere diese Musik und dachte seither, was für eine Freude muss es sein, diese Musik zu singen. Aber natürlich hatte ich viel zu viel Respekt. Und dann kam die Einladung von Emanuelle Haim, mich auf Monteverdi einzulassen. Ich habe geschluckt und es probiert. Ich passte meine Stimme dieser Gesangs- und Empfindungswelt an - und plötzlich war die Tür offen!
So einfach?
Villazón:
Natürlich nicht! Es war sch ... viel Arbeit. Aber schöne Arbeit. Selten habe ich mich so lustvoll in Noten gebadet. Diese Musik lässt totale Freiheit und ist doch auch kontrolliert. Man erreicht mit wenigen Nuancen sehr viel. Die Stimme erscheint dabei wie unter einem Mikroskop. Danach hatte ich Feuer gefangen. Und wollte ein Barockalbum mit Arien mehrerer Komponisten machen. Aber Paul McCreesh, dem ich stilistisch unendlich viel verdanke und der mich während eines Jahres Vorbereitungszeit immer wieder gecoacht hat, verengte dann die Spur auf ein Händel-Album - natürlich auch wegen des Jubiläums. Aber keine Angst, damit ist diese Beschäftigung für mich noch lange nicht abgeschlossen. Sicherlich wird die wunderbare Vaterrolle des Bajazet in "Tamerlano", der rast und wütet aber eben auch trauert und fleht, der das Lamento kennt und Koloraturen spuckt, irgendwann auch von mir komplett Besitz ergreifen. Aber das hat noch Zeit. Doch neben dieser anspruchvollsten Tenorpartie Händels gibt es den Grimoaldo in "Rodelinda", über den ich ernsthaft nachdenke. Terminlich fixiert ist als stilistisches Zwischenglied Mozarts "Idomeneo" im Januar in Paris. Natürlich mit Emanuelle Haim am Pult, aber auch mit Anna Netrebko, mit der ich weiterhin auftreten werde.
Nun ist aber Monteverdi eher parlandohaft, da geht es vornehmlich um Ausdruck. Bei Händel wird aber stets auch großes Koloraturgeschütz aufgefahren.
Villazón:
Da musste ich zu meinen Anfängen am Konservatorium zurück. Da habe ich in einigen Rossini-Rollen und etwa in Mozarts "Ré pastore" sehr viele Verzierungen gefressen, zehn Jahre habe ich nicht mehr daran gearbeitet. Jetzt habe ich sechs Monate lang wieder diesen Teil der Stimme trainiert. Ich habe mir bewusst kaum Aufnahmen angehört, wollte mit McCreesh und dem wunderbaren Cembalisten Jory Vinicour, mit dem ich immer wieder aufs Neue an den Verzierungen der Da-Capo-Teile gefeilt und geschraubt habe, wirklich einen eigenen, meinen Händel-Stil finden. Das war unglaublich kreativ, das würde ich mir manchmal auch für meine anderen Rollen wünschen, wo früher die Sänger sich viel stärker mit ihren spezifischen Möglichkeiten in die Aufführungspraxis eingebracht haben.
Und wenn das jetzt heftig kritisiert wird?
Villazón:
Sollen sie mich auf den Scheiterhaufen stellen. Ich fühle mich dabei sehr wohl. In dieser Musik folgt die Stimme der Technik, später folgt die Technik der Stimme und ihren Gefühlen. Da kann man mit der Stimme auf der Welle segeln. In der Barockmusik muss man unbedingt der Welle folgen, sonst geht man unter. Das ist für mich ein Umdenken, aber ein sehr kreatives. Man muss sehr diszipliniert singen und gleichzeitig unheimlich offen sein, eine große Herausforderung. Aber ich will nicht stehen bleiben.
Was finden Sie als sonst eher romantischer und veristischer Tenor in dieser Musik wieder, was vermissen sie?
Villazón:
Ich finde es faszinierend zu hören, wie in machen Arien der Rhythmus, der Koloraturenbeat dominiert, so wie später dann die Orchesterbegleitung als Ostinato unter der Melodie liegt. Im Barock ist das fast wie bei einem Popsong. Später ist freilich die Melodie nicht so konstruiert, folgt freier der Prosodie der Worte. In der Romantik beginnt die Stimme ein Duett mit dem Instrumentalpart, im Barock liegt sie wie Öl im Wasser, zwei separate Welten, die sich aber gut vertragen. Anderseits sind die hohen Noten hier eben nur Noten, sie kommen oft und über viele Seiten, sind nicht die Klimax, sondern Teil einer ganzen Phrase. Es führt nicht alles so auf den einen Spitzenton hin wie etwa bei Donizetti, Verdi oder Puccini.
Es ist für Sie also weniger stressig, hier hohe Noten zu singen?
Villazón:
Natürlich. Sie fallen wie Perlen von der Schnur, eines ergibt sich aus dem anderen. Im romantischen Repertoire warten alle darauf, deswegen verkrampft man bisweilen. Singen hat hier etwas Sportliches, im Barock meinen die Schwierigkeiten eher einen Moment von Freiheit, die Stimme überwindet fließend und flexibel Grenzen. Gerade in den Wiederholungsteilen, wenn es jeder hören kann, wie man hier mit der Musik spielt.
Sie singen aber auch Kastratenpartien. Macht man sich mit solchen Transponierungen angreifbar?
Villazón:
Die hat es in der Geschichte des Gesangs immer gegeben, vor allem natürlich als keine Kastraten mehr zur Verfügung standen. "Ombra mai fu", das Largo des Xerxes, Händels berühmteste Melodie überhaupt, wurde schließlich zum Tenorbesitz. Nicht immer zu sehr klangfeinem freilich. Von dieser schlechten Tradition, mit der ich natürlich auch aufgewachsen bin, wollte ich mich absetzen, das Stück aber unbedingt auf der CD haben. Und plötzlich haben wir auch noch die anderen beiden Arien transponiert, ausprobiert - und schließlich aufgenommen. Es war absolut ekstatisch, fast wie ein Drogenrausch. Wir denken immer so viel über Traditionen nach. Manchmal muss man sich auch quer zu einer solchen stellen, eigene Wege finden. Ich finde diese Musik sehr komfortabel für mich. Manche originalen Tenorarien Händels liegen mir fast zu tief, loten die Höhenregionen meiner Stimme zu wenig aus. Trotzdem nehme ich diese Musik sehr ernst, und sie wird mich in meiner weiteren Laufbahn ganz sicher begleiten.
Wohin führt diese Laufbahn nun?
Villazón:
Ich habe Irrtümer gemacht. Ganz klar. Aber man muss fühlen, um zu lernen. Ich konzentriere mich auf das, was gut für mich ist. "Maskenball" und "Tosca" sind erstmal nicht geplant. Und auch keine Verismo-Partien. Auch den Don José, der vorerst nur noch in Wien mit Mariss Jansons ansteht, singe ich unbedingt als lyrische Rolle. Auch hier gilt: Man darf sich nicht von schlechten Traditionen leiten lassen. Ich hatte nach neuerlicher Durchsicht der Noten gemerkt, dass der Vaudémont in Tschaikowskys "Jolantha" doch nichts für mich ist, obwohl Anna und ich das wundervolle Duett bereits aufgenommen haben. Also trat ich - ein wenig spät, ich gebe es zu -, lieber von der Rolle zurück. Auch der Edgardo in "Lucia di Lammermoor" und der "Rigoletto"-Herzog sind Vergangenheit. Ich hätte mir einen besseren Abgang mit "Lucia" gewünscht als jetzt in New York, aber da war ich wirklich krank. Ich werde an meinen französischen Rollen festhalten. Ich denke über Mozarts Titus nach und auch über den Gabriele Adorno in "Simon Boccanegra". Es kommen Uraufführungen - und eben Barockopern. Die Reise wird bunter, hoffentlich auch überraschender.
Spielen die Nerven noch mit?
Villazón:
Der Druck wird größer. Das spüre ich sehr deutlich. Weil wir immer weiter vorausplanen und keiner weiß, wohin sich eine Stimme wirklich entwickelt. Auch weil heute jeder Fehler sofort im Internet zugänglich gemacht wird. Es ist nicht leicht, sich davon unabhängig zu machen. Auch Sänger sind nur Menschen. Und erst recht Tenöre. Die Balance zu finden, wird wichtiger. Ich muss mich akzeptieren und trotzdem mein Leben genießen.
The Magic Flute
vor 13 Stunden
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