Exzellente Netrebko, dröge Regie: "Lucia di Lammermoor" an der Met auf DVD"Eine modernisierte Lucia aus der Met" heißt es im Beiheft der brandneuen Anna-Netrebko-DVD mit einem Live-Mitschnitt aus der Metropolitan Opera, New York. Doch reicht eine Verlegung der Handlung in die viktorianische Zeit aus, um bei Mary Zimmermans Inszenierung der "Lucia di Lammermoor" von Modernisierung zu sprechen? Tatsächlich kann auch in dieser Epoche von Selbstbestimmung der Frau keine Rede sein. Die schweren Interieurs, die Statik des Chores und die Gefühlsarmut der handelnden Personen, sowie das raue Naturbild (Bühne: Daniel Ostling; Kostüme: Mara Blumenfeld) unterstreichen die Kälte und Herzlosigkeit, mit der Lucias Zukunft fremdbestimmt wird.
Der gefühllos auftretende Bruder und Patriarch der Familie, Lord Enrico (vor allem im Duett mit Netrebko an Farbe gewinnend: Mariusz Kwiecien), will durch eine Heirat Lucias das Adelsgeschlecht vor dem Ruin retten. Ihre heimliche Liebe zum Erzfeind Sir Edgardo di Ravenswood, mit großer Gestaltungsgabe, wenn auch etwas angestrengt gesungen von Piotr Beczala, (der für Rolando Villazón einsprang) beendet Enrico durch eine Brief-Intrige. Lucias Leidenschaften sind beflügelt, sie steigert sich schnell in ihre Verliebtheit hinein. Mit herrlicher Zartheit in der Tongebung, fesselnder Bühnenpräsenz und technischer Perfektion in Registerwechseln, Koloraturen und exakten Spitzentönen schildert Anna Netrebko in ekstatischer Innenwendung und heftigster Leidenschaft Lucias Sinnesverklärung und den Weg in die Katastrophe.
Kurz nachdem sie ihre Unterschrift unter die Hochzeitsurkunde gesetzt hat, erscheint ihr Geliebter, und die Intrige wird aufgedeckt. Dem Wahnsinn verfallen, tötet sie ihren Angetrauten Lord Arturo (Colin Lee) und besingt dann in einer virtuosen Wahnsinnsarie, glaubwürdig zwischen tiefstem Entsetzen und größter Freude schwankend, ihre Liebe zu Edgardo. Das Orchester, dirigiert von Marco Armiliato, unterstreicht die skurril entrückte Atmosphäre, in der Lucias Visionen aufsteigen.
Der Priester Raimondo (sicher und kräftig: Ildar Abdrazakov), der bei Enricos Machenschaften mitspielte, steht erst am Ende auf Lucias Seite, und verkündet "Sie ist im Himmel." Edgardo, erschüttert vom Tod Lucias, besingt in einer leidvollen Cavatine sein Schicksal und wünscht sich den Tod. Zimmermans Inszenierung deutet in dem Erscheinen Lucias als Geist, der Edgardo den Dolch ins Herz rammt und ihn im Sterben küsst, eine Vereinigung der Liebenden im Himmel an. War das die Modernisierung?
Tastend und im dunkel-düsteren Ton, dann kraftvoll zu szenisch duplizierten Gewitterblitzen erklingt die Ouvertüre des Orchesters. Mit prägnanten Einsätzen trägt der Klangkörper zur dramatischen Gestaltung bei, skizziert aber auch gekonnt idyllische Stimmungen oder ländliche Naturanklänge. Versiert zeigen sich die Orchestermusiker auch in den Solis. Die Textverständlichkeit des Chores könnte aber ausgefeilter sein; auch wirken die Einsätze stets schwerfällig und gerade die Männerstimmen wenig homogen.
Donizetti: Lucia di Lammermoor. Metropolitan Opera, Marco Armiliato (Dir.), Netrebko, Beczala, Kwiecien u. a., DVD, ca. 29 Euro